ZITATE AUS DEM MUSEUMSGARTEN

Zitat 10: De Frömde – Entfremdung

Weer de Frömde wiß un
wahrhaftig ehr Vadder?
Nix in ehr Hart sä:
„He is’t.“

War der Fremde wirklich und
wahrhaftig ihr Vater? Nichts
in ihrem Herzen sagte:
„Er ist es.“

 

Quelle: Th.Th., Een kummt na Huus, in: Daudruppen, 1975, S. 22

Daudruppen

„Daudruppen“ ist eine Sammlung von Kurzgeschichten zu unterschiedlichsten Themen. Nach der ersten Geschichte ist dieses Bändchen benannt, und es ist eine ernste Geschichte. Es folgen danach weitere 31 kleine Texte auf Plattdeutsch, die zu einem großen Teil autobiografisch sind, mal ernst, mal urkomisch und immer mit einem liebevollen Blick auf die Gestalten. Autobiografisch erzählt sie auch von ihrem Leben als alleinerziehende Mutter, und vor allem scheint auch durch, wie sie ihre Arbeit als Schriftstellerin angehen und bewältigen konnte.

Een kummt na Huus

Thora Thyselius lässt uns in ihre eigene Welt als kleines Mädchen schauen, dessen Vater aus dem Krieg zurück kehrt und nach vier Jahren Abwesenheit für das Kind ein Fremder ist. Nicht nur das Mädchen fremdelt, auch dem Vater ist diese „unbekannte“ Tochter zunächst unheimlich, zumal die Mutter zunächst nicht zu Hause ist. So entwickelt sich gewissermaßen ungestört die Vater-Tochter- Beziehung wieder, sie lernen sich neu kennen, und vor allem, sie geben sich gegenseitig die Chance, alles wieder gut werden zu lassen.
Das Thema ist nicht weit weg von der heutigen Zeit, wo oft posttraumatische
Belastungsstörungen bei Menschen beobachtet werden, die sich in Kriegs- oder
Katastrophengebieten aufgehalten haben, und die Zeit brauchen, manchmal Jahre, um am normalen Leben wieder teil zu nehmen.

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Das Fremde im vertrauten Menschen

Ein Vater kehrt nach jahrelanger Abwesenheit zurück nach Hause. Ausgemergelt und seltsam still, wird er von seiner Tochter kaum mehr als der Mann wiedererkannt, der sie aufzog. Dennoch gelingt es beiden, sich Stück für Stück wieder anzunähern.

Das Motiv des Fremden im Vertrauten zieht sich durch mehrere Werke Thyselius’. Dies mag in ihren persönlichen Erfahrungen begründet sein. Als Kind musste sie erleben, wie ihr Vater verändert aus dem Krieg zurückkehrte, während ihr Ehemann aus dem Zweiten Weltkrieg nie mehr heimkehrte.

Mit den Entbehrungen und Schrecken, die der Krieg mit sich bringt, sowie den seelischen und körperlichen Narben, die er an Soldaten und Familien hinterlässt, war Thyselius vertraut. Diese Erfahrungen werden unter anderem in der Kurzgeschichte „Buten vör“ verarbeitet, die sich ebenfalls in „Daudruppen“ findet und in der Thyselius authentische Bilder des Soldatenalltags zeichnet.

Auch heute, wo die Schrecknisse kriegerischer Auseinandersetzungen wieder stärker in unser aller Bewusstsein gerückt sind, zeigt dieses Stück Kurzprosa, dass trotz Entfremdung Menschen wieder zueinander finden können.

(Peter Meenken 2023)