6000 SCHRITTE MIT THORA
STATION 6: DAT EEN SPOOR BLIFFT
Friedhöfe bieten Spuren in die Vergangenheit.
So finden Sie Thoras Grab: Gehen Sie auf die Nordseite der Friedhofskapelle. Folgen Sie dem Weg Richtung Norden
und überqueren Sie die erste
Wegkreuzung.
Auf der rechten Seite liegt das Familiengrab Thyselius.
Swarte Haar
He schreeg nich. Dar druff kien Luut na buten hen to hören sien. Kien Luut. Kien Schemer Lücht. Nix von sien Leben unnen in den Keller. Wo lang schull dat noch duren? Wo lang holl en Minsch dat ut, leben, wat kien Leben is, Dag för Dag in dat Duuster von den Keller, ohn Arbeit, ohn en Book, ohn Minschen – blots mit de nich mehr junge Fro, de’s abends de Luuk för em upböör.
Wo lang noch?
„Jümmers“, dach de Fro. „Ik will di jümmers bi mi bargen.” Man se dach ok: „Amenn blots noch disse ene Nacht. Amenn kaamt se morgen al un haalt di af. Amenn weet de Navers langst, well ik in mienen Keller bargen do, worum ik de Luken so fröh al dichtsluut, worum ik de Slötellöker mit Werg tostopp.
Se weet, dat ik en bargen do, den se söcht, den se insparrn wöllt, aftransporteern, dootscheten oder up anners en Aart un Wies um’t Leben bringen wöllt.“ Kien Woort keem ehr över de Tung, un he bruuk nich mal in ehr Ogen to kieken. He wuß dat ja allens sülvst best goot.
„Un di”, see he, „di bringt se ok um. Unner mien Ogen bringt se di um. Dat is denn de Dank för diene Leev.“
Nie nich harr he von Leev spraken. Nie nich harr en anner so en Woort to de Fro seggt.
He holl ehr fast an beide Hannen, un denn see he, noch disse Nacht wull he weg. Dar wuß se, all de Tiet harr se dar up töövt, un se wuß ok, he muß dat doon. Weer woll nich blots de Leev, de em wegdreev.
He holl dat Leben dar unnen in dat Düüster eenfach nich mehr ut.
Se stunn up un pack dit un dat tohoop, wieldeß, as meist elkeen Nacht, de Bomber över dat Huus henbrummen. De Sirenen harrn se woll höört. Man wenn en den helen Dag in den Keller huken mutt, kann he sik um de Bomber nich ok noch nachts verkrupen.
De Flak knatter. All dat weern se wennt.
Man denn baller dat gegen de Döör. „Maak up!“ schreeg en Mannsstimm. – De Fro rönn na de Kellerluuk un wink den Mann to, he schall sik unnen bargen. Man de röög sik nich. He hork up de Äxt, de gegen de Döör slöög. Un as de Naver rinstört, stunn de Frömde midden in de Kamer.
„Dat brennt”, schreeg de Naver, un denn wörr he dat frömde Gesicht mit de swarten Haar daröver wiß un begreep, miteens begreep he, beter weer, de verbrenn hier up de Steed.
Avers denn reet he de Fro na buten, rut ut dat brennen Huus un den Frömden, de sik nich mal wehren dee, as se em in dat Sprüttenhuus inslöten.
Annie Heger liest „Swarte Haar”:
Schwarzes Haar
Er schrie nicht. Es durfte kein Laut draußen zu hören sein. Kein Laut. Kein Schimmer Licht. Nichts von seinem Leben unten in dem Keller. Wie lange sollte das noch andauern? Wie lang hält ein Mensch das aus, leben, was kein Leben ist, Tag für Tag in dem Dunkel des Kellers, ohne Arbeit, ohne ein Buch, ohne Menschen – nur mit der nicht mehr jungen Frau, die abends die Luke für ihn aufstemmte. Wie lange noch?
„Immer“, dachte die Frau. „Ich will dich immer bei mir verbergen.“ Aber sie dachte auch: „Vielleicht nur noch diese Nacht. Bestimmt kommen sie morgen schon und holen dich ab. Was wenn die Nachbarn längst wissen, wen ich in meinem Keller verstecke, warum ich die Luken so früh schon abschließe, warum ich die Schlüssellöcher mit Werg zustopfe.
Sie wissen, dass ich einen verstecke, den sie suchen, den sie einsperren, abtransportieren, erschießen oder auf andere Art und Weise ums Leben bringen wollen.“
Kein Wort kam ihr über die Zunge, und er brauchte nicht einmal in ihre Augen schauen.
Er wusste das ja alles selbst nur zu gut. „Und dich“, sagte er, „dich bringen sie auch um. Vor meinen Augen bringen sie dich um. Das ist dann der Dank für deine Liebe.“ Niemals hatte er von Liebe gesprochen. Niemals hatte ein Anderer so ein Wort zu der Frau gesagt.
Er hielt sie fest an beiden Händen, und dann sagte er, noch diese Nacht wolle er weg. Da verstand sie, die ganze Zeit hatte die darauf gewartet, und sie wusste auch, er musste das tun. Es war nicht nur die Liebe, die ihn wegtrieb. Er konnte das Leben dort unten im Dunkeln einfach nicht mehr ertragen. Sie stand auf und packte dies und das zusammen, währenddessen, wie in den meisten Nächten, die Bomber über dem Haus hinwegbrummten. Die Sirenen hatten sie wohl gehört. Aber wenn einer den ganzen Tag in dem Keller hocken musste, konnte er sich wegen der Bomber nicht auch noch nachts verkriechen.
Die Flak knatterte. All das waren sie gewöhnt. Aber dann knallte es gegen die Tür. „Mach auf!“ schrie eine Männerstimme. – Die Frau rannte zu der Kellerluke und winkte dem Mann zu, er solle sich unten verstecken. Aber er rührte sich nicht. Er hörte die Axt, die gegen die Tür schlug. Und als der Nachbar hereinstürzte, stand der Fremde mitten in der Kammer. „Es brennt“, schrie der Nachbar, und dann bemerkte er das fremde Gesicht mit dem schwarzen Haar darüber und begriff, im selben Augenblick begriff er, dass es besser wäre, wenn er hier auf Stelle verbrennen würde.
Aber dann riss er die Frau nach draußen, raus aus dem brennenden Haus, und den Fremden, der sich nicht einmal zur Wehr setzte, als sie ihn im Spritzenhaus einschlossen.
Und nun geht es weiter zu Station 7. Laufen Sie die Dungenstraße Richtung Osten. Am Ende biegen sie links in die Bahnhofstraße und gleich wieder rechts in die Neustadtstraße. Überqueren Sie die Gleise und die Admiral-Brommy-Brücke über den Binnenhafen. Danach rechts ab Richtung Fischvermarktung Neptun.